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Leidenschaft auf Asphalt – die Fahrradmanufaktur Samstag

Appolonia, 28-Zoll, Damenrad von Samstag

Appolonia, 28-Zoll, Damenrad von Samstag

Als ich bei Twitter zum ersten Mal ein Fahrrad der Münchner Manufaktur Samstag sah, war ich fasziniert. Sportlich, elegant, reduziert, völlig anders. »Gold, Gold!«, rief der Entdecker in mir. Ich war auf etwas Besonderes gestoßen. Das wurde noch deutlicher, als ich mir die Website von Samstag anschaute und den Kopf dahinter kennenlernte.
Christopher Lewis ist Werbefilmer, Künstler und heute Inhaber der Fahrrad-Manufaktur Samstag. Das Samstag-Konzept: aus Teilen von ausgemusterten Fahrrädern, aus Schrottfahrrädern, aus Metallskeletten, gefunden an Straßen und Plätzen, wird etwas völlig Neues: ein Samstag.

Für mich ist Christopher Lewis kein Downshifter nach amerikanischem Vorbild, kein typischer Sinnsucher – eher ein neuer Typ von Unternehmer, der auf Ästhetik, ressourcenschonende Produktion und kreative Neuschöpfungen setzt. Letzteres ist aber das alles Entscheidende. Die individuelle Kreativität, der typische Style von Samstag, ist wie eine ästhetische Signatur, die die Fahrräder einzigartig macht.

Ein Thema, bei dem ich spontan viele Fragen habe. Warum heißt diese Manufaktur Samstag? Aus wie vielen alten Fahrrädern setzt sich ein Samstag-Rad zusammen? Gibt es auch ungewöhnliche Sonderaufträge? Fragen über Fragen also.
Samstag – eine tolle Story, die gerade erst begonnen hat. Was Christopher Lewis auf meine Fragen antwortet, erfahrt ihr jetzt.

Los geht’s – Der Frager im Interview mit Christopher Lewis von Samstag.

Interview

Der Frager: In deinem Twitter-Profil steht, dass du Künstler und Filmer bist. Magst du uns kurz etwas dazu erzählen?

Christopher Lewis – Gründer und Kopf von Samstag

Christopher Lewis – Gründer und Kopf von Samstag

Christopher Lewis: Nach meinem Ausstieg aus der Werbebranche Mitte der 90er Jahre, ich war einige Jahre als Produktioner und Aufnahmeleiter im Werbefilmbereich und in Agenturen tätig, habe ich mich als Künstler versucht. Das hat auf Anhieb gut geklappt, und ich konnte etwa zehn Jahre lang als Autodidakt gut von der Kunst leben.

Auf der Suche nach einer auf lange Sicht erfüllenden Aufgabe, in der auch meine gestalterischen Fähigkeiten Platz finden würden, kam ich zu den Fahrrädern. Das Projekt Samstag-Fahrrad ist für mich eine Symbiose aus Kunstobjekt und Gebrauchsgegenstand. Da kann ich mich handwerklich, künstlerisch, philosophisch und nachhaltig austoben.

Ich würde mich also am ehesten als Künstler und Filmer bezeichnen, der sich zum Fahrrad-Freak entwickelt hat.


Wann und warum hast du mit der Restaurierung und Entwicklung von Fahrrad-Unikaten begonnen? Gibt es ein Schlüsselerlebnis und die Entscheidung: »Das mach ich jetzt«?

Während einer Wanderung durch das Bruckmühler Land (Voralpenland) entdeckte ich in einem frisch gepflügten Acker etwas, das man nicht genau erkennen konnte. Irgendwie zog mich dieses Etwas magisch an und befahl mir, mich durch den matschig-klebrigen Schlamm zu kämpfen. Ich befürchtete schon, dass da am Ende ein Mensch liegt. Es war aber lediglich ein altes Fahrrad. Ich nahm es mit, obwohl zu vermuten war, dass der Haufen Schrott nicht mehr fahren würde.

Das seltsame Bild des seelenlosen, deplatzierten Gefährts ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Daraus entstand in den anderthalb Jahren danach zunächst ein Hobby. Ich baute einige Räder für Freunde, die die Räder so schön fanden, dass sie mich weiterempfohlen. Neue Kunden wollten plötzlich Samstag-Räder.

So formte sich daraus im März 2012 eine nachhaltige Geschäftsidee: Fahrrad-Klassiker (ausrangierte Schrotträder) aus der Region werden zu künstlerisch gestalteten Unikaten. Mein ehemaliges Maleratelier habe ich zur Werkstatt umfunktioniert. Mittlerweile hat sich das Projekt ein wenig herumgesprochen und die Leute bringen mir sogar ihre alten Räder, weil sie sich wünschen, dass ich daraus wieder etwas Neues bastle.

 

XYZ, 28-Zoll, Damenrad

XYZ, 28-Zoll, Damenrad

Wie kam es zu dem ungewöhnlichen Namen Samstag?

Dem Projekt habe ich den Namen Samstag gegeben, weil mein Spaziergang an einem Samstag stattgefunden hat. Für viele Menschen ist der Samstag ja auch der schönste Tag der Woche. Da ist man faul oder kreativ oder beides. Ich wollte aber auch ein für Fahrräder eher untypisches Branding, das sich gut einprägt. Denn Samstag ist ja keine Fahrradmarke, sondern im Grunde nur ein Ersatzname für restaurierte und aufpolierte Fahrradteile.


Aus wie vielen Fahrrädern setzt du ein neues Fahrrad zusammen? Erkennst du auf Anhieb die Fahrräder, die später in ein neues zusammengeführt werden?

Aus etwa drei Schrotträdern entsteht ein »neues« Samstag-Rad. Da sich viele Bauteile von den früheren Fahrradmarken glichen, sind die meisten fertigen Samstag-Räder fast im Originalzustand. Manche Kunden haben auch spezielle Wünsche und wir konfigurieren gemeinsam ihre Wunschräder. Die unterscheiden sich dann schon von den früheren. Alte Rahmen und Teile sind es aber immer. Unter ästhetischen Gesichtspunkten realisiere ich am liebsten schlanke, elegante Räder aus Stahl.

 

Gottfried, 28-Zoll, Herrenrad

Gottfried, 28-Zoll, Herrenrad

Woher weißt du, dass du ein Fahrrad mitnehmen darfst? In Hamburg haben sie meistens diesen auffälligen Zettel der Stadt, sind aber fast immer angekettet. Wie gehst du da vor?

Da gibt es eine kleine Grauzone: Nicht angekettete Räder, die sichtbar ungefahren herumstehen oder -liegen und an denen bereits Teile fehlen, können mitgenommen werden. Das ist nicht offiziell, würde von der Polizei aber auch nicht bestraft werden. Ich bin also immer auf der Jagd nach Material.


In »brand eins« (10/2012) steht, dass es immer mehr Aufträge werden und du überlegst, Mitarbeiter einzustellen. Ist das geschehen? Arbeitest du immer noch in der Werkstatt, die so groß ist wie eine Garage?


Ich hatte vergangenen Sommer einen Mitarbeiter, der bei Samstag einsteigen wollte. Der hat aber kalte Füße bekommen, das Geschäft war ihm nicht sicher genug, ein ehemaliger Angestellter halt. Zurzeit bin ich wieder alleine, denke aber, dass ich bis zum Sommer jemanden finde, der/die fest einsteigt. Zudem suche ich Kooperationen mit Gestaltern oder Designern, Kreativen also, die selbst Upcycling oder Recycling betreiben und ein vergleichbares Konzept verfolgen. Wir sollten am gleichen Strang ziehen.


Als Filmer arbeitet man ja im Team. Wie ist das bei Samstag? Arbeitet ihr auch im Team mit Kreativ-Besprechungen etc.? Wie unterscheidet sich das von der Arbeit als Filmer?


Sofern mehr als eine Person (ich) mit Samstag beschäftigt ist, etwa bei Shootings, beim Filmen, beim Materialsammeln oder beim Brainstormen, wo es mit Samstag hingehen könnte, waren die Besprechungen bisher eher locker und vom Prozess her experimentell ausgerichtet. Jeder, z.B. auch ein Model, bringt sich da individuell ein. Samstag inspiriert und bietet viel Freiraum.

 

Chef, 28-Zoll, Herrenrad

Chef, 28-Zoll, Herrenrad

In welcher Preisspanne bewegen sich deine Aufträge?

Ein Samstag-Rad mit Grundausstattung kostet um die 800 Euro. Mit seltenem Rahmen und Extrawünschen bis 1700 Euro.


Gibt es auch ungewöhnliche Sonderaufträge und kannst du uns von einem erzählen?

Eigentlich sind alle Aufträge ungewöhnlich. Witzig fand ich eine Anfrage von einem jungen Brandmanager, der in Monaco lebt und beruflich vorwiegend in Indien arbeitet. Er hat mir ein Foto geschickt, wie er im Flieger sitzt und den Samstag-Beitrag in »brand eins« liest. Wir haben in einem aufwendigen Prozess per Email und  iPhone Messenger sein Traumrad konfiguriert. Das Rad ist noch nicht fertig.


Gibt es auch Aufträge, die du ablehnst und warum?

Aluminium-, Carbon- oder geschweißte Stahlrahmen (ab 80er Jahre) sowie Discount-Räder kommen mir nicht in die Samstag-Werkstatt. Samstag steht für Klassiker und Qualität, für Entschleunigung und Unikat-Charakter. Moralische Bedenken hätte ich spontan mit möglichen Auftraggebern aus der Pharma- und Waffenindustrie, dem Finanzdienstleistungsbereich und sonstigen ethisch nicht vertretbaren Bereichen.


In besagter »brand eins« erwähnst du auch, dass du davon träumst, dass deine Fahrräder eines Tages durch New York, Tokio und andere Metropolen der Welt fahren.Hat sich dein Traum erfüllt?

In Wien und Monaco werden bald die ersten Samstage fahren. Die Aufträge realisiere ich gerade. Dass die Räder auch nach Übersee reisen, ist eine Sache der Präsenz von Samstag in den Medien dort. Das dauert noch ein wenig. Ich habe nicht die Zeit, mich jetzt dafür zu engagieren.

 

Zacharias, 28-Zoll, Herrenrad

Zacharias, 28-Zoll, Herrenrad

Hast du dich schon einmal in ein Fahrrad »verliebt«? Gibt es das »Christopher Lewis Fahrrad« und wenn ja: Wie schaut es aus und wo steht es jetzt?

Ich bin in fast alle fertigen Samstag-Räder verliebt und fahre abwechselnd unterschiedliche Samstag-Räder. Spaß machen sie mir alle. Ich favorisiere gegenwärtig kein spezielles Rad dauerhaft. Ein Christopher-Lewis-Fahrrad gibt es also nicht.


Nehmen wir an, ein Künstler würde für die Stadt München eine Skulptur, ein Bild oder ein anderes Was-auch-Immer entwerfen? Wer wäre dein Wunschkünstler? Wo sollte die Skulptur stehen bzw. das Happening stattfinden? Was sollte die Botschaft sein?

Abgeleitet vom Trojanischen Pferd, wäre es ein übergroßes, mobiles Kunstobjekt: Das Trojanische Fahrrad. Ich würde es zusammen mit einem Stahlexperten, einem Architekten und einer Landschaftsarchitektin entwerfen. Eine zirkusähnliche Choreographie mit Videoinstallationen (von mir) und eigens dafür komponierten Klangstücken sind Teil dieser Objekt-Performance. In München würden mobile Vorstellungen beim Olympiastadion ganz in der Nähe der BMW Welt stattfinden.

 

Vielen Dank an Christopher Lewis für das Interview und viel Erfolg mit Samstag.

Und hier geht es zur Website von Samstag.

Samstag bei Twitter

Samstag bei Facebook

 

 

 

 

 

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Der Frager

Manfred Zimmer – Dipl. Inf., Texter/Konzeptioner ist Der Frager. Ob in der U-Bahn, beim Einkauf, beim Lesen der Zeitung oder online, im Leben des Fragers ploppen an jeder Ecke unzählige Fragen auf. Fragen, die gestellt werden wollen.

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