»After the Goldrush« könnte ein Film von Quentin Tarantino heißen. Er spielt im Jahr 2018. Im Netflix-Trailer sehen wir zu Beginn schemenhaft den Erfinder des Bitcoins. 2008. Eine Figur, von der niemand weiß, wer dahintersteckt, und die sich Satohsi Nakamoto nennt, sitzt an einem Rechner und programmiert gerade die neue Kryptowährung inklusive ihrer dezentralen Infrastruktur. Nächste Sequenz: Nur wenige Monate später. Eine Zeitung wird irgendwo in Minnesota über einen Zaun geworfen. Ein junger Mann liest sie im Elternhaus am Frühstückstisch und erfährt von der neuen Kryptowährung Bitcoin. Er erkennt die Chancen und kauft für wenige Dollar 100 Bitcoins. Fast hätte er sie vergessen, da entdeckt er im Jahr 2017, dass ein Bitcoin jetzt 14.000 € wert – und er Millionär ist. Nun überschlagen sich die Ereignisse im Film. Viele strahlende Gewinner. Und ganz viele Verlierer. Die Bitcoin-Blase ist geplatzt. Es sei eine Art Kettenbrief gewesen, werden die Zeitungen schreiben. »After the Goldrush« würde bestimmt ein nachdenklicher Film werden.
Es wird aber mit hoher Wahrscheinlichkeit weiterhin Kryptowährungen geben und sicherlich auch den Bitcoin. Was leider vergessen wurde: Die smarte Infrastruktur des Bitcoins, die Idee der Blockchain, ist aus meiner Sicht der wirkliche Hero – der große Wurf und die eigentliche Sensation. Ohne die Blockchain wäre der Handel mit Bitcoins gar nicht möglich. Die Erfindung der Blockchain-Struktur wird vieles verändern. Es lohnt sich also, sich mehr mit dieser flexiblen Datenstruktur zu beschäftigen.
Heute unterhalte ich mich mit Kathrin Stein über die Blockchain. Sie arbeitet bei SinnerSchrader, Part of Accenture Interactive, als Product Designer. In ihrer 15-jährigen Berufserfahrung in großen Internetagenturen wie Ogilvy oder Scholz & Friends Interactive hat sie schon viele Trends und Hypes erlebt. Blockchain ist nun ihre neue Leidenschaft und in ihren Augen mehr als nur ein Hype. Ihre Mission: Zusammen mit den Kryptologen (Blockchainmagazin Kryptologen.de mit den verschiedensten Artikeln zur Kryptowelt) das Prinzip der Blockchain für alle verständlich zu machen.
Der Frager: Du sagst, dass Blockchain deine neue Leidenschaft ist. Wie kam es dazu?
Kathrin Stein: Ich bin Berufspendlerin und höre viele Podcasts, wie beispielsweise den von dem Entrepreneur Matthew Mockridge. In einer Folge wurde über Bitcoin und Ethereum gesprochen – mein privates und berufliches Interesse war sofort geweckt. Privat, weil ich lukrative Investmentmöglichkeiten witterte, und beruflich, weil ich als Product Designer immer offen für neue Entwicklungen und Trends im digitalen Raum bin.
Du schreibst unter anderem für das Blockchain-Magazin der Kryptologen, das sich zur Mission gemacht hat, die Blockchain verständlich zu erklären. Welche Erfahrungen macht ihr auf dieser Mission?
Spannend ist, dass das Thema Kryptowährung die unterschiedlichsten Menschen erreicht. Handwerker, Ärzte, Medienfachleute – alles ist dabei. Die meisten interessiert vor allem der Handel mit Kryptowährungen. Deshalb haben wir auch unsere Tradingschule (Link siehe unten) gegründet, die sich genau mit diesen Themen auseinandersetzt und sehr gut angenommen wird. Meine Mission ist aber nach wie vor, die vielfältigen Chancen und Möglichkeiten aufzuzeigen, die die Technologie hinter Bitcoin und Co. mit sich bringt.
Vor allem wegen des rasanten Anstieg des Bitcoins überschlagen sich zurzeit die Meldungen und Artikel über die Bitcoin-Blockchain. Es wird viel erklärt. Widersprüche tauchen auf. Die einen sagen, dass der Proof of Work der Miner per Prüfsummencheck durchgeführt wird – andere schreiben von einem mathematischen Rätsel, das gelöst werden muss. Wir würdest du einem Laien in wenigen Sätzen den Proof of Work der Miner erklären?
Puhuu :-) Wir wissen, dass Transaktionen bei Bitcoin auf Blöcken festgehalten werden. Doch woher kommt der Block? Welcher Block ist der richtige? Jeder Miner könnte ja behaupten, sein Block wäre der offizielle! Der Proof of Work ist die Antwort: Das Bitcoin-System versieht jeden – auch zukünftigen Block – mit einem Hashwert, bestehend aus Zahlen und Buchstaben. Dieser muss nun in einem zufälligen Prozess gefunden werden. Das heißt, die Rechner der Miner probieren so lange alle möglichen Zahlenkombinationen aus, bis eine bestimmte Bedingung erfüllt ist, zum Beispiel vier Nullen am Anfang stehen.
Das Finden eines solchen Hashwerts ist wie Lottospielen. Wenn man gewinnen will, muss man entweder viele Lose kaufen (im Bitcoin-Fall Mining-Equipment) oder einfach Glück haben. Daher das Glücksspiel-Beispiel als Sinnbild. Da dieser Prozess sehr teuer ist, bekommt der Gewinner (der Miner) zur Belohnung aktuell 12,5 Bitcoins. So wird gewährleistet, dass weiterhin Blöcke gefunden/berechnet werden und das Netzwerk weiter am Leben bleibt.
Ich möchte noch ein wenig bei der Bitcoin-Blockchain bleiben. Trotz einer relativ großen Sicherheit der Prüfsummenmethode kam es immer wieder zu Hacks und Manipulationen mit Schäden in Millionenhöhe. Was ist da passiert?
Das liegt definitiv nicht an der Bitcoin-Blockchain. Die funktioniert einwandfrei. Das Problem ist das System drumherum. Also die Börsen und Wallets, über die ich meine Bitcoins kaufe und verwalte, sowie der private Rechner zu Hause. Dadurch, dass der Bitcoin immer weiter im Wert steigt, wird er auch für Angreifer immer attraktiver. Aber auch schon 2011 hat es sich für einen Hacker gelohnt: Der damaligen Bitcoin-Onlinebörse Mt Gox wurden insgesamt 744.408 BTC, damals 400 Millionen US-Dollar, gestohlen. Für Bitcoin-Anleger ist es am sichersten, den privaten Schlüssel auf ein Papier (Paper Wallet) zu drucken oder aufzuschreiben und alles andere zu löschen. Mehr Probleme macht aber eher die Ethereum-Blockchain, die durch die Smart-Contract-Funktion fehleranfälliger ist.
Wenn du im Aufzug vom Erdgeschoss in den 15. Stock jemanden treffen würdest, der absoluter Bitcoin-Fan (Währung und Blockchain) ist und vor Begeisterung kaum zu bremsen, welche Bedenken würdest du ihm mitgeben? Du hast 30 Sekunden Zeit.
Aus Invest-Sicht: Investiere nur, was du verlieren kannst, und setze nicht nur auf ein Pferd! Und ansonsten: Schaue über den Tellerrand und nutze die Chance als Early Adopter. Schau, was außerhalb des Bitcoins möglich ist und welche beruflichen Möglichkeiten sich für dich mithilfe der Blockchain-Technologie ergeben können. Es gibt noch genug Raum für viele Geschäftsideen und Services.
Wenn du im Aufzug vom 15. Stock ins Erdgeschoss jemanden treffen würdest, der absoluter Bitcoin-Gegner ist, welche positiven Anmerkungen würdest du ihm mitgeben? Du hast wieder 30 Sekunden Zeit.
Ich kenne ja nicht die Gründe, warum die Person dagegen ist. Aber viele denken, dass mit Bitcoin nur Schindluder getrieben wird. Stichwort Darknet. Aber durch den Bitcoin können zum Beispiel Menschen ohne Bankkonto und Kreditkarte – weltweit sind das übrigens über 2 Milliarden Menschen – sich schnell und einfach Geld überweisen und dabei teure Transaktionsgebühren sparen. Transatlantische Überweisungen kosten bei Banken im Durchschnitt laut Statista 7,2 %, bei Bitcoin 3,5 %. – mittlerweile leider auch sehr teuer. Aber wir wollen bei dem Positiven bleiben: Bitcoin/Kryptowährungen sind auch für Personen eine Alternative, die dem zentralen Bankensystem misstrauen, etwa wegen Bankenkrisen wie in Lettland oder in Ländern mit Kapitalkontrollen wie in China.
Es gibt ja mittlerweile einige Blockchains und auch Ideen für weitere Konstrukte und Verfahrensweisen – zum Beispiel bezüglich des Prüfverfahrens. Eine interessante und auch bekannte Blockchain ist die Ethereum-Blockchain, mit der nicht nur die Währung Ether gehandelt werden kann, sondern auch sogenannte Smart Contracts dokumentiert werden können. Welche Gedanken hast du zu Ethereum?
Durch Ethereum bin ich überhaupt zu dem Thema Blockchain gekommen. Die Möglichkeiten hinter Smart Contracts haben mich sofort begeistert. Sie helfen uns dabei, Geld, Aktien oder andere Dinge von Wert auszutauschen, ohne auf einen Mittelsmann angewiesen zu sein. Ich kann also zum Beispiel sagen: Immer wenn der Song X spielt, überweise die Summe Y an den Künstler. Das eröffnet eine Menge an Möglichkeiten im Markt. Ich denke, Ethereum wird deshalb weiterhin eine große Rolle im Kryptomarkt spielen.
Vitalik Buterin, der Erfinder der Ethereum-Blockchain, sieht im Proof of Work keine Zukunft, da er die Blockchain immer langsamer werden lässt. Es gibt wohl die Idee, den Proof of Stake einzuführen, bei der die Erzeugung eines Blocks durch einen Teilnehmer von dessen wertmäßigem Anteil am Netzwerk abhängt, also vom Anteil seines Vermögens an der jeweiligen virtuellen Währung. Was hältst du davon? Welche sinnvollen Alternativen gibt es aus deiner Sicht?
Eine Alternative zum Proof of Work (PoW) ist zwingend erforderlich. Der extrem hohe Energieverbrauch und die immer länger werdenden Transaktionszeiten sind KO-Kriterien für die Massentauglichkeit. Es ist schwierig zu beurteilen, ob der Proof of Stake (PoS) die ultimative Lösung sein wird. Es gibt bisher noch nicht viel Praxiserfahrung mit dieser Art der Konsensgenerierung. Negative Stimmen sagen auch, dass PoS fehleranfälliger ist als PoW. Bei den Kryptowährungen Stratis und NEO scheint es auf jeden Fall bisher zu funktionieren. Eine weitere, vielversprechende Methode ist die von IOTA. Hier wird mit dem Tangle gearbeitet. Das Prinzip ist kurz gesagt: Bevor ich eine eigene Transaktion tätigen kann, muss ich selbst zwei andere validieren. Das heißt bei diesem System: Je mehr Teilnehmer ins Netzwerk kommen, desto schneller funktioniert ist. Eine super Sache in meinen Augen.
Die Teilnehmer der großen gerade bestehenden Blockchains sind ja anonym. Man sagt auch »pseudoanonym«, weil sie ja einerseits mit einem Pseudonamen arbeiten, andererseits dieser aber wieder fest mit den Blöcken der Blockchain verschweißt ist. Führt das nicht auch dazu, dass illegale Transaktionen durchgeführt werden können?
Hier muss man sich genau die Währungen anschauen. Da gibt es tatsächlich Unterschiede. Das Bitcoin-Netzwerk ist zum Beispiel öffentlich, und man kann alle Ein- und Ausgänge von jeglichen Bitcoin-Adressen verfolgen. Zwar weiß man nicht, wer hinter den Adressen steckt, doch es gibt Wege, dies herauszufinden. Um an Bitcoins zu kommen, muss man sich bei den Online-Handelsbörsen verifizieren. Somit lassen sich Bitcoins theoretisch zurückverfolgen.
Es gibt aber auch Währungen wie etwa Monero, die Transaktionen nicht nachverfolgbar machen und sich damit für illegale Geschäfte theoretisch besser eignen. Das FBI hat 2012 eine Einschätzung gegeben, dass der Bitcoin nur ein weiterer Kanal für illegale Geschäfte ist, genauso wie nach wie vor das beliebte Bargeld.
Welche Gerichtsbarkeit ist für die offenen Blockchains zuständig? Wo kann ich meine Rechte für Transaktionen wahrnehmen? Werden die Transaktionen, weil ja mit Pseudonamen geführt, von hiesigen Gerichten anerkannt?
Es gibt keine Gerichtsbarkeit! Das ist auf der einen Seite positiv, da sich so die Kryptowährungen frei entwickeln können, aber eben auch negativ, weil ich nichts einklagen kann und viele Investoren und Privatpersonen vor allem beim Initial Coin Offering (ICO) Geld verlieren. ICOs funktionieren wie Crowdfunding. Es wird eine Idee vorgestellt und Personen, die daran glauben, investieren. Es gibt aber keinerlei Möglichkeit, versprochene Anteile et cetera einzuklagen. Und was aktuell investiert wird, ist der reine Wahnsinn. Die Firma Brave Software hat innerhalb von 30 Sekunden 35 Millionen US-Dollar eingesammelt.
China hat bereits den Handel mit Bitcoins untersagt. In der EU-Zone diskutieren Zentralbanken und Gesetzgeber über eine Regulierung von Kryptowährungen. Vor allem Großbritannien macht sich dafür stark, dass für sie auch die scharfen Regeln gegen Geldwäsche gelten sollen. Es bleibt spannend zu beobachten, wohin die Reise in der EU gehen wird.
Vielen Blockchain-Anhänger sind begeistert von den unzähligen Möglichkeiten, die sie bietet – etwa die Verknüpfung von weltweiten Forschungsergebnissen im Gesundheitsbereich oder der lückenlosen Verfolgung von Lebensmitteltransporten. Gibt es eine Idee (oder Ideen), die dich besonders fasziniert?
Ich finde vor allem, was Estland mit seinem e-Estonia-Programm tut, super fortschrittlich. In Estland lassen sich über 600 E-Government-Dienste nutzen. Von Wahlen über Steuererklärung – die Estländer müssen im Prinzip nur noch bei Heirat, Hauskauf und Scheidung ins Amt. Das Wichtigste dabei: Sie behalten immer das Recht über ihre Daten.
Den Datenaustausch zwischen über 900 verbunden Netzwerken macht X-Road möglich, das wiederum an eine Blockchain gekoppelt ist. Es handelt sich hier zwar um eine private Blockchain, was in meinen Augen aber auch notwendig ist.
Ansonsten finde ich das Berliner Start-up IOTA äußerst spannend. Sie wollen die Kommunikation zwischen Maschinen ohne menschliche Beteiligung ermöglichen. Beispiel: Der Kühlschrank bestellt vollautomatisch und bezahlt ohne Einbindung des Eigentümers die Waren. Statt PoW oder PoS setzt IOTA wie schon gesagt auf das Tangle. Eine abgewandelte Version der Blockchain, die ohne Miner eine schnelle und vor allem günstige Transaktion zwischen den Maschinen erlaubt und dabei sehr gut skalierbar ist. IOTA ist vielversprechend, auch wenn noch ein langer Weg vor ihnen liegt. Ziel ist es, Teil der Infrastruktur des aufkommenden Internets der Dinge zu werden.
Was glaubst du, welche Bedeutung die Blockchain in fünf Jahren haben wird?
Wir befinden uns noch an den Anfängen, was den Einsatz der Blockchain betrifft. Das Potenzial ist aber enorm. Vor allem der Business-to-Business-Bereich wird sich zuerst verändern. Fortschrittliche Unternehmen werden immer weiter prüfen und ausprobieren, wie und wo sie Prozesse durch die Blockchain vereinfachen können. Das Logistikunternehmen Maersk beispielsweise ist zusammen mit IBM aktiv dabei. The Enterprise Ethereum Alliance bringt die unterschiedlichsten Bereiche zusammen, um gemeinsam zu forschen. Bis die Blockchain aber merkbar Einzug in das tägliche Leben hält, wird es, denke ich, noch über zehn Jahre dauern. Und nein, Banken und PayPal werden durch die Blockchain bestimmt nicht verschwinden, sich aber bestimmt anpassen.
Wenn du selbst eine Blockchain gründen würdest, wie würde sie ausschauen? Was würde sie können?
Tatsächlich arbeiten ich und ein paar andere an einer Idee, von der ich jetzt leider noch nicht erzählen darf. Wir sind gerade dabei, Investoren zu finden. Allerdings tatsächlich auf dem klassischen Weg – mit Klinkenputzen statt ICO. Also wenn unter euch Lesern Investoren sind: Schreibt mir eine Mail ☺
Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen:-)
Vielen Dank dir, dass ich etwas über Blockchain erzählen durfte!
Der Frager
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1 Kommentar
Georg
15. Januar 2018 at 08:04Ein sehr informatives Interview. Vielen Dank fürs Teilen.